Samstag, 16. April 2016

Dolch und Bogen

Das neue Leben in Fensalir wurde mehr und mehr das ihre. Mit jedem Tag, jedem weichen Fell und jedem alten Möbelstück, das sie für ihre Hütte ergattern konnte, fühlte sich Lovis mehr zuhause als zuvor. Viele Ahn und Abende am Feuer mit den anderen, ganz gleich ob drinnen in der Hall oder draußen bei mildem Wetter, gaben ihr das Gefühl angekommen zu sein. Am Morgen weckte sie nicht die Sonne, sondern die lauten Geräusche aus Sigurds Schmiede, die sie fast lieber hörte als den Gesang der Vögel. Auch wenn sie sich manchmal stritten, sie schaffte es einfach nicht ihm lange böse zu sein.

Ums Feuer versammelt


Ob es nun Saria oder Finn, der Dorfälteste gewesen war, der ihr aufgetragen hatte, sich einen Dolch und einen Bogen zu besorgen, wusste Lovis nicht mehr genau. Aber der Umstand, dass man von den Frauen in Fensalir Waffentüchtigkeit erwartete, kam überraschend über sie. Sie hatte bisher weder einen Bogen in der Hand gehabt, noch je einen Pfeil abgeschossen.

Finn und sein Weib, Gaia


Angesichts der Lebensumstände im Norden erschien ihr die Forderung schlüssig zu sein. Zogen die Männer aus um zu rauben und zu plündern oder um Handel zu treiben, mussten die Frauen die Verteidigung des Dorfes übernehmen.

Die Bogenmacherin, die von den meisten nur "die Füchsin" genannt wurde wegen ihres roten Haars und ihrer Gerissenheit, ließ sich schließlich auf einen Handel ein. Ein Bogen für Lovis gegen eine große, farbenfrohe Decke für ihr Bett. Sigurd hatte versprochen neben dem Webstuhl auch einen kleinen Dolch zu fertigen. Er hatte nichts als Gegenleistung gefordert, aber Lovis hatte schon beschlossen sich ihm gegenüber erkenntlich zu zeigen.



Auch aus diesem Grunde war sie allein im Wald gewesen und hatte die Umgebung rund ums Dorf erkundet und Rinde, Blätter, Blüten, Stängel und Wurzeln vieler Pflanzen, Sträucher und Bäume auf enthaltene Farben getestet, mit denen sich Wolle einfärben ließ. Einiges hatte sie auch gefunden, lediglich die Farben rot und blau stellten sie vor ein bisher nicht lösbar scheinendes Problem. Indigo, das wusste Lovis noch aus ihrem alten Leben, wuchs so weit im Norden nicht und war ein kostbares Handelsgut. Färberwaid mochte zwar hier gedeihen, aber gefunden hatte sie bisher nichts davon.



Eines Abends am Feuer hatte sich Saria in die Runde gesellt und verkündet, dass Jarl Aegir einen erneuten Schlag gegen Belnend verüben wollte, als Antwort auf die Gerüchte, dass die Stadt jedem willigen Ohr verkündete, sie habe die Schlacht gegen die Streitkräfte des Nordens gewonnen. Sigurd hatte sofort leuchtende Augen bekommen und Lovis war klar, dass sie ihn nicht davon abhalten konnte mit gegen Belnend zu ziehen. Er würde bald seinen Schwur gegenüber dem Jarl leisten und sich so an den Clan der Feuerbringer binden. Und er brannte darauf sich und sein Schwert für seinen Clan einzusetzen. Es wurde auch erwartet, dass ein Mann fähig und willig war zu kämpfen und zu rauben. Lovis würde also zurückbleiben und wie Niara seinerzeit nichts anderes übrig bleiben als zu warten und zu beten, dass die Götter ihn wohlbehalten zurückbringen würden, wenn sich nicht...

... wenn sich nicht die Gelegenheit ergäbe, mit nach Belnend zu gehen. Die Gelegenheit ergab sich noch am gleiche Abend. Es war Finn, der sie aufforderte sich einen Bogen zu leihen und mitzuziehen. Denn Lovis hatte noch keine Kinder zu versorgen und keinen Acker zu bestellen. Im Dorf war sie abkömmlich und im Kampf zählte jeder Bogen und jeder Dolch.

Den Weg nach Hause war sie hin- und hergerissen zwischen Furcht und Erleichterung. Nun würde sie nicht im Dorf ausharren müssen, aber unter Umständen ihr Leben im Kampf lassen, denn sie war unerfahren und unerfahren war noch untertrieben. Trotzdem kam der Schlaf in dieser Nacht rasch und tief über sie und als sie am Morgen erwachte spürte sie neben der Aufregung eine tiefe Zufriedenheit.


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